In einem Interview mit der Welt sorgte jüngst der deutsche Philosoph und Autor Richard David Precht mit seiner Aussage „Gendergerechte Sprache ist eine der dümmsten Ideen unserer Zeit“ für Aufsehen. Tatsächlich scheint er damit vielen Menschen aus der Seele zu sprechen: In repräsentativen Umfragen gibt in der Regel mehr als die Hälfte der Befragten an, Gendersprache als unwichtig oder sogar störend zu empfinden. Vielen sind Gendersternchen und Binnen-I ein Dorn im Auge. Die größte Ablehnung findet sich dabei bei Männern und Befragten im mittleren Alter. Jüngere stehen der gendergerechten Sprache hingegen häufiger offen gegenüber. Für Unternehmen schaffen diese Zahlen natürlich eine Zwickmühle: Einerseits möchten Sie bei der Rekrutierung niemanden ausschließen und möglichst viele Talente ansprechen. Andererseits wollen sie natürlich auch niemanden mit zu umständlichen Formulierungen vergraulen. Wir geben Tipps, wie Sie gut durch den Gender-Dschungel kommen, ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen.
Formaler Rahmen: Gesetzliche Anforderungen an Stellenanzeigen
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ – der Absatz 2 des dritten Artikels im Grundgesetz gibt grundsätzliche Gleichstellung von Männern und Frauen in Deutschland vor. Nähere Details regelt das Allgemeine Gleichbehandlungs-gesetz (AGG). Es soll Benachteiligungen aus Gründen des Geschlechts oder der sexuellen Identität verhindern und beseitigen. Dazu zählen natürlich auch Ungleichbehandlungen im Job, insbesondere bei der Vergabe von Stellen. Auf der Grundlage dieser Vorgaben hat sich das Formulieren genderneutraler Stellenanzeigen durchgesetzt. Die meisten Firmen lösen diese Vorgabe denkbar einfach: Durch den Zusatz (m/w) im Titel stellen sie klar, dass das Geschlecht bei der Besetzung der Stelle keine Rolle spielt. So werden Frauen bei männlichen Berufsbezeichnungen ebenso eingeschlossen, wie Männer bei weiblichen – auch wenn Letzteres weitaus seltener der Fall ist. 2019 wurde die Angabe „m/w“ größtenteils von „m/w/d“ abgelöst. Grund dafür war die Einführung eines dritten Geschlechts, der Bezeichnung „divers“ im Personenregister. Dadurch rückte die Miteinbeziehung nonbinärer und intersexueller Menschen in den Vordergrund. Nur Männer und Frauen zu nennen, grenzt diese Personen aus und stellt daher ebenso einen Verstoß gegen das AGG dar wie die ausschließliche Nennung von Männern oder Frauen
Richtig Gendern: Die große Vielfalt an Möglichkeiten
- Generisches Maskulinum oder Femininum: Bewerber oder Bewerberinnen
- (mit ausdrücklichem Einbezug des nicht genannten Geschlechts)
- Splitting mit Nennung beider Formen: Bewerber und Bewerberinnen
- Geschlechtsangabe in Klammern: Bewerbende (m/w)
- Bindestrich: Bewerber/innen
- Klammern: Bewerber(innen)
- Binnen-I: BewerberInnen
- Gender-Gap: Bewerber_innen
- Gender-Asterisk: Bewerber innen
- Gender-Sternchen: Bewerber*innen
- Geschlechtsneutrale Form: Bewerbende
Von diesen zehn Möglichkeiten beziehen aber nur die letzten vier nonbinäre Menschen mit ein: Gender-Gap, Gender-Asterisk und Gender-Sternchen sollen durch den Platz zwischen männlicher und weiblicher Form klarmachen, dass auch alle Geschlechter dazwischen gemeint sind. Sie funktionieren aber vor allem in der Schriftsprache und sind daher umstritten. Viele befürchten außerdem, dass sie den Textfluss und damit die Lesbarkeit verschlechtern. Wird die Geschlechtsangabe in Klammern um ein „d“ für divers ergänzt, erfüllt sie ebenfalls die Vorgaben für den Einschluss nonbinärer Bewerbender. Die geschlechtsneutrale Form als umschreibende Lösung erscheint auf den ersten Blick die beste, wird aber von vielen Menschen als umständlich wahrgenommen und stößt bei den meisten Berufsbezeichnungen schnell an ihre Grenzen.
Praxistipp:
Die meisten Stellenbezeichnungen lassen sich auf den ersten Blick nur umständlich gendern oder genderneutral ausdrücken. Wer an eine Gruppe dieser Menschen denkt, findet aber oft schnell eine Lösung: Aus expliziten Kaufmännern und Kauffrauen werden Kaufleute, Teamleiter*innen werden zur Teamleitung und Pfleger*innen zu Pflegefachkräften.
Generisches Maskulinum: Mitgemeint ist nicht mitgedacht
Die meisten Personaler lösen das Problem mit dem Gendern bei Stellenanzeigen, indem sie als Überschrift die Berufsbezeichnung (m/w/d) wählen und dann das generische Maskulinum verwenden. So erfüllen sie die formalen Vorgaben, alle Geschlechter mit einzubeziehen und können die Anzeige wie gewohnt formulieren, ohne jedes Wort genau überdenken zu müssen. Studien kommen aber zu dem Schluss, dass diese Vorgehensweise einen entscheidenden Nachteil hat: Mitgemeint ist nicht automatisch mitgedacht. Frauen, die die Stellenanzeige für einen Kundenberater (m/w/d) lesen, fühlen sich weniger angesprochen, als wenn von einer Kundenberaterin die Rede wäre. Menschen stellen sich bei eindeutig männlichen oder weiblichen Berufsbezeichnungen automatisch zuerst das explizit genannte Geschlecht vor. Generisches Maskulinum und Femininum schließen daher immer einen wichtigen Teil Ihrer Zielgruppe aus – wenn auch nur gedanklich in den Köpfen der Lesenden. Das Gleiche gilt selbstverständlich für Intersexuelle, die nur durch einen einzigen Buchstaben in der Headline der Stellenanzeige inkludiert werden. Wenn es um geschlechterneutrale Sprache und richtiges Gendern geht, bietet die deutsche Sprache prinzipiell zwei Möglichkeiten: Das Neutralisieren und das Sichtbarmachen. Beim Neutralisieren wird das Geschlecht möglichst unsichtbar, um zu zeigen, dass es keine Rolle spielt. Das Sichtbarmachen nennt hingegen die Möglichkeiten und zeigt damit die Vielfalt der Geschlechter auf. Wer gendergerechte Sprache mit einer guten Lesbarkeit verbinden will, muss oft beide Möglichkeiten geschickt kombinieren, um ans Ziel zu gelangen.
Kreative Sprache und gelebte Diversität als elegante Lösung in Sachen Gendern
Mit dem Zusatz „m/w/d“ versehene Stellenanzeigen schützen Sie vor rechtlichen Konsequenzen wegen Missachtung der Vorgaben des AGG. Wirklich ansprechend wirken sie in den meisten Fällen aber nicht. Das liegt vor allem daran, dass sie verkrampft und zwanghaft anstatt freundlich und offen wirken. Sie machen das Geschlecht ihrer Bewerber zum Tabu, indem sie seine Nennung tunlichst vermeiden, auf vollkommen neutrale Bezeichnungen zurückgreifen oder um jeden Preis alle Möglichkeiten einschließen. Immer wieder zeigen verschiedenste Unternehmen, dass es auch anders geht: Mit frischen und unkonventionellen Lösungen schaffen sie es, alle Geschlechter anzusprechen. Mithilfe kreativen Denkens abseits ausgetretener Pfade formulieren sie ihre Stellenanzeigen nicht nur geschlechterneutral, sondern sogar geschlechterpositiv. Dafür müssen Sie unter Umständen in Ihrer Stellenanzeige etwas weiter ausholen. Aber wer mit der Zeit geht und im Internet inseriert, für den ist das platzsparende Design aus den Zeiten der Zeitungsannoncen sowieso passé. Diversität ist in der modernen Arbeitswelt mehr als nur eine Anforderung des Gesetzgebers an Ihre Stellenanzeigen. Sie ist eine Möglichkeit zu Wachstum und Vielfalt im eigenen Unternehmen. Da sich insbesondere junge Talente vermehrt diverse Arbeitsumgebungen wünschen, ist dieses Thema eine Gelegenheit für Sie bereits, beim Verfassen Ihrer Jobangebote zu punkten. Indem Sie deutlich machen und ausformulieren, dass alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Ethnizität und Sexualität bei Ihnen willkommen sind, heben Sie sich im besten Fall positiv von der Konkurrenz ab und bleiben möglichen zukünftigen Angestellten positiv im Gedächtnis.
Fazit: Sprache wird Wirklichkeit und Wirklichkeit wird Sprache
Echte Diversität hört nicht mit der Stellenanzeige oder dem Abschluss des Bewerbungsprozesses auf. Stattdessen zieht sie sich durch das gesamte Unternehmen und die dort gelebte Firmenkultur. Nonbinäre Menschen, die zwar laut Stellenanzeige willkommen sind, beim Ausfüllen der Bewerbermaske aber „Herr“ oder „Frau“ auswählen müssen, wissen schnell, dass es mit der tatsächlichen Diversität im Unternehmen eher noch hapert. Aufgrund der strengen Regularien stehen Jobangebote aber besonders im Fokus, wenn es um geschlechterneutrale Sprache geht. Niemanden zu benachteiligen oder auszuschließen ist dabei nur der Anfang. Denn Diversität birgt für Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels auch zahlreiche Möglichkeiten und Chancen. Dabei ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich eine tatsächlich vielfältige und bunte Belegschaft auch in der Unternehmenskultur und der dort herrschenden Sprache wiederfinden wird – und am Ende natürlich auch in geschlechterpositiven Stellenanzeigen.